Wie wertvoll ein „Blick über den Zaun“ sein kann, zeigte sich am ersten Märzwochenende während einer gemeinsamen Klausurtagung der BdV-Landesverbände Thüringen und Bayern. „Die wertvollen Hinweise die wir uns gegenseitig geben konnten, motivieren zu einer Wiederholung eines solchen Treffens in München“, kommentierte Thüringens Landesvorsitzender Egon Primas. Sein bayerischer Kollege Christian Knauer lobte die gute Vorbereitung der Tagung durch die beiden Landesgeschäftsstellen und die Auswahl der hochrangigen Gäste. Als geradezu „historisch“ bezeichnete er den über zweistündigen Meinungsaustausch mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Es war die erste Begegnung, zumindest des bayerischen BdV, mit einem Politiker der Partei „Die Linke“. Als hochinteressant und aufschlussreich bezeichnete er auch die Begegnung mit dem thüringischen CDU-Generalsekretär und Landrat des Saale-Orla-Kreises, Christian Herrgott.
Durchaus humorvoll hatte am Freitagabend die Begegnung im „Meister Bär Hotel Frankenwald“ bei Rudolphstein mit dem thüringischen Ministerpräsidenten begonnen. Aufgrund einer Verspätung, der mit der Deutschen Bahn angereisten bayerischen Teilnehmer, stellte deren Landesvorsitzender Christian Knauer fest, dass dies das erste Mal in der Geschichte des Verbandes sei, „dass ein Ministerpräsident auf den BdV wartet und nicht umgekehrt“. Bodo Ramelow war pünktlich zum Tagungsort gekommen und zeigte sich während des gesamten Meinungsaustauschs ausgesprochen volksnah, ohne jegliche Allüren und voller Verständnis für die Angelegenheiten der Vertriebenenverbände. Gleich eingangs ließ er keinen Zweifel, dass es in der ehemaligen DDR „die radikalste Form im Umgang mit den Vertriebenen“ gegeben habe.
Sowohl er, wie der thüringische Landesvorsitzende Egon Primas, erinnerten daran, dass 1950 die DDR-Volkskammer ein Gesetz zur Verbesserung der Lebenssituation der Vertriebenen verabschiedete. Dadurch wurden 400 Millionen DDR-Mark an Wohnungsbeihilfen und Ackerland im Rahmen der „Bodenreform“ für die Vertriebenen zur Verfügung gestellt. Dieses „Entgegenkommen“ war allerdings mit dem Zwang zur Assimilierung in der DDR verbunden. Ein „Recht auf Heimat“ lehnte die DDR als Ausdruck „revanchistischen Denkens“ ab. Als Heimat galt der SED nicht eine Stadt oder eine Landschaft, sondern der sozialistische Staat. Auch aus diesem Grunde wurden die Heimatvertriebenen verharmlosend „Umsiedler“ genannt. 1955 galt die Integration der Umsiedler in der DDR als erfolgreich beendet.
Mit dem „Görlitzer Vertrag“ schaffte der sozialistische Staat 1950 zudem politische Fakten. Die DDR erkannte die „Oder-Neiße-Grenze“ an und setzte damit ein wichtiges politisches Signal in Richtung Polen, dass die neue Grenze endgültig sei. Für die ehemaligen Bewohner der Ostgebiete des Deutschen Reiches, die in der DDR lebten, habe dies geheißen, dass die Heimat für immer verloren sei. Flucht und Vertreibung waren in der DDR bis zu ihrer Auflösung kein Thema. Die „Umsiedler“ durften sich nicht organisieren, ihre Lieder und Trachten waren unerwünscht. Nur im Privaten oder in kirchlichen Kreisen gab es die Möglichkeit für Begegnungen und gemeinsames Erinnern. Kaum jemand der jüngeren Generation hätte so in der DDR etwas von den deutschen Ostprovinzen, den deutschen Siedlungsgebieten, der damit verbundenen Geschichte oder von Flucht und Vertreibung gewusst. Es habe weder Bücher, noch Unterricht in der Schule darüber gegeben. Alles sei hierzu tabu gewesen.
Wie schon in seinen Grußworten zu den „Tagen der Heimat“ zeigte sich im über zweistündigen Gespräch, dass der Linken-Politiker, im Gegensatz zu vielen seiner Parteifreunde, den Anliegen der Heimatvertriebenen und Spät-/Aussiedlern aufgeschlossen gegenüber steht. „Ich verbinde mit dem BdV nichts Rückwärtsgewandtes. Nur wer seine Herkunft kennt, weiß damit umzugehen“, stellte Ramelow gleich eingangs klar. Daher habe seine Landesregierung auch für 2024 im Landeshaushalt, auf der Grundlage des § 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG), eine Institutionelle Förderung des BdV-Landesverbandes und eine Projektförderung für die Sudetendeutsche Landsmannschaft und des Verbandes „Heimatvertriebene und Vertriebene Südthüringen e.V.“ zur Genehmigung durch den Landtag vorgeschlagen.
Großen Respekt zollte Ministerpräsident Ramelow dem thüringischen BdV-Landesvorsitzenden Egon Primas, mit dem er seit 1994 kollegial durch die frühere gemeinsame Landtagsarbeit verbunden ist, für dessen erfolgreichen Abwehrkampf einer „rechtsradikalen Unterwanderung“ des BdV-Landesverbandes. Durch seine Kontakte zu Region Lemberg, die Unterstützung der Ausbildung ukrainischer Ärzte in Thüringen und Friedhofsprojekten in Schlesien würden er und der gesamte BdV „eine vorbildliche Brückenbauarbeit zu den östlichen Nachbarn“ leisten.
Dass die landsmannschaftliche Arbeit auch im Nachbarland aufgrund des Ablebens der Erlebnisgeneration zunehmend schwerer werde, kam auch am Folgetag beim Gespräch mit dem thüringischen CDU-Generalsekretär Christian Herrgott zum Ausdruck. Der frühere Zeitsoldat im Dienstgrad eines Hauptmanns im Führungsunterstützungsbataillon 383 in Erfurt, war 2002 in die CDU eingetreten. Bei der Landtagswahl 2014 war er Direktkandidat im Wahlkreis Saale-Orla-Kreis II und zog mit 39,8 Prozent der Erststimmen als direktgewählter Abgeordneter in den Thüringer Landtag ein. 2019 wurde er mit 32,5 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Am 28. Januar 2024 wurde der CDU-Politiker mit 52,4 Prozent der Stimmen zum Landrat des Saale-Orla-Kreises gewählt. Er setzte sich dabei in einer Stichwahl gegen Uwe Thrum (AfD) durch und ist heute bundesweit durch seine Bemühungen, Asylbewerber zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten, bekannt.
Herrgott bedauerte, dass sich in seinem Landkreis alle landsmannschaftlichen Ortsgruppen aufgelöst hätten und es schwer sei, jüngere Menschen für die einschlägigen Themen zu gewinnen. Dies sei eine „große und wichtige Aufgabe“, damit Themen wie „Flucht und Vertreibung der Deutschen“ sowie ihre Siedlungsgeschichte im östlichen und südöstlichen Europa nicht in Vergessenheit geraten würden. Seitens der CDU Thüringen sicherte er den Bemühungen und der Arbeit des BdV die weitere Unterstützung zu. Die Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung (OMV), der Egon Primas seit 2017 als Bundesvorsitzender vorsteht, bilde hierfür einen „wichtigen Baustein“.
Autor: Susanne Marb/BdV Bayern