Zeitzeuge – Friedhelm Häßner

Zeitzeugenbericht Friedhelm Häßner

Vertreibung ist eine Geschichte des Engagements.

„Ich kann mich an die Scheinwerfer über Jena erinnern; und die Bombardierungen dort.“

Friedhelm Häßner, Vertrieben aus Ostpreußen

Erst 3 Jahre alt war Friedhelm Häßner, als die Front näher rückte und die Familie ihren Heimatort verlassen musste. Die Mutter, allein mit 3 kleinen Kindern – der Vater war an der Front, dann in Gefangenschaft –, ging zunächst zu den Großeltern nach Heiligenbeil (Ostpreußen). Dort verbrachten sie das letzte halbe Jahr 1944, bevor Sie die Heimat gänzlich verlassen mussten.

Die Familie hat Glück. Der Vater stammt aus Thüringen, dort ist Verwandtschaft, die früh anbietet, die Familie aufzunehmen. Verschickbares Hab und Gut wurde vorausgesandt. Der Großvater baute im Sägewerk Kisten, die mit den der Familie wichtigen Dingen bestückt nach Ulrichswalde transportiert wurden. Als die Lage schwieriger wird, machte sich die Mutter mit den drei Kindern und einer Tante im September 1944 auf den Weg nach Ulrichswalde. Die Züge fuhren noch, sodass die Familie gut dort an- und auf dem Familien-Hof unterkam. Auch dorten litten sie unter den Tieffliegern und den Bombenangriffen vor allem auf Jena. Der Vater kam 1947/48 aus der Gefangenschaft nach Ulrichswalde.

Vor einigen Jahren findet Friedhelm Häßner im Heimatblatt des Kreises Heiligenbeil (Folge 53, Mai 2008) Briefe seiner Tante Emma an die Mutter Frieda vom Januar und Februar 1945, kurz bevor die Russische Armee einmarschierte, die endgültige Vertreibung begann und die Tante „übers Eis“ floh. Die Briefe zeugen von den letzten Tagen Leben, den letzten Tagen „Normalität“ vor der Flucht.

„Ich will (es) nochmal versuchen und Dir ein Lebenszeichen senden. Es fahren heute wieder Flüchtlinge ab, denen ich diesen Brief mitgebe … Mir wird das Herz so schwer. Wie wird es hier werden. Werden wir hier noch mal lebend raus kommen …“ (Mühle Bahnau, den 6.2.1945)

Flucht bedeutet nun, zumeist in Trecks, auf Pferde- und Ochsenwagen, zu laufen – über Land bei hohem Schnee und minus 25 bis 30 Grad. Bis der Fluchtweg abgeschnitten ist. Sowjetische Panzer stoßen überraschend aus dem südlichen Ostpreußen vor und erreichen die Küste. Kein Zug geht mehr. Schiffe zur Rettung übers Meer sind nicht ausreichend. Die „Gustloff“ sinkt.

Viele fliehen „übers Haff“, eine Meeresbucht, die durch den Frischen Nehrung genannten Landstreifen von der Ostsee getrennt wird. Einziger Ausweg: die Flucht übers Eis.

Man „… sorgte dafür, dass die Wagen nur in Abständen von 50 bis hundert Metern fuhren, damit die Fläche nicht zu stark belastet wurde. Pioniere, Polizei und Feuerwehr hatten entlang der Fahrspur Löcher ins Eis geschlagen und Tannenbäume und Markierungsstangen festgefroren, so dass der Weg nicht zu verfehlen war.“ *

„… aber das Eis war schon so brüchig, dass sich ganz schnell Wasser sammelte. Soldaten begleiteten uns mit Laternen bis zur Mitte des Haffs, dann kehrten sie um. Als es hell wurde, bot sich uns ein grauenvolles Bild. Russische Flieger beschossen die Flüchtlinge mit Bordwaffen im Tiefflug. Unzählige Tote, abgesoffene Wagen, wo zwischen den Eisschollen die Reste rausragten.“ *

* https://www.deutschlandfunk.de/teil-4-die-flucht-uebers-haff-100.html

zeitzeugen heute

„Kleine Suhler Reihe“ – Zeitzeugenberichte

1992/93 besucht und erlebt Friedhelm Häßner das erste „Ostpreußentreffen“ und trifft Menschen, die seinen Großvater aus Heiligenbeil noch kannten – ein berührendes Erlebnis. Von Beginn an ist er aktiv im BdV.

1990 ist die 1. Versammlung des BdV vom Kreisverband Suhl – er ist dabei. 800 bis 1000 Mitglieder sind es damals bereits. Viel muss getan werden. Man benötigt Büros, organisiert Veranstaltungen, oft mit 600 bis 800 Besuchern. Auch prominente Gäste aus der Politik schauen vorbei. Der BdV bietet Lebensqualität: monatliche Versammlungen, regelmäßige Treffen, Feierlichkeiten.

Am Herzen liegt Friedhelm Häßner auch die „kleine Suhler Reihe“ – eine Publikation, für die er sich engagiert. Sie widmet sich den „weniger bekannten Details unserer Geschichte“ und vereint zum Beispiel in Heft 32 „Vertriebene in Suhl. Zeitzeugengeschichten“ Berichte verschiedener Vertriebener aus Suhl.

Bis heute ist Friedhelm Häßner aktiv – engagiert im BdV und unermüdlich für das Wichtigste: das Erinnern an die Zeit.

685.913

Vertriebene in Thüringen

23

Prozent der Gesamtbevölkerung Thüringens nach dem Krieg sind Vertriebene 

58

Prozent aller Vertriebenen
um 1945 sind Frauen